Veröffentlicht am Mai 17, 2024

Der Verzicht auf ein Auto bedeutet nicht weniger, sondern mehr Flexibilität – wenn man ihn als strategisches Design versteht.

  • Ein modulares System aus Rad, ÖPNV und Carsharing schlägt die starre „Ein-Fahrzeug-Lösung“ in fast allen Alltagsszenarien.
  • Die wahrgenommene Freiheit des Autos ist oft eine Illusion, die durch Parkplatzsuche, Stau und hohe Fixkosten zunichtegemacht wird.

Empfehlung: Beginnen Sie nicht mit Verzicht, sondern mit dem Aufbau Ihres persönlichen, digitalen Mobilitäts-Werkzeugkastens.

Die Entscheidung, auf ein eigenes Auto zu verzichten, wird oft von einer zentralen Angst begleitet: dem Verlust von Freiheit und Flexibilität. Man stellt sich vor, im Regen stehen gelassen zu werden, den Wocheneinkauf nicht mehr bewältigen zu können oder für einen spontanen Ausflug ans Ziel der Wünsche gefesselt zu sein. Die gewohnte Antwort darauf sind meist isolierte Ratschläge wie „nutz doch mehr den Nahverkehr“ oder „kauf dir ein E-Bike“. Diese Ansätze greifen jedoch zu kurz, denn sie ersetzen nur ein Werkzeug durch ein anderes, ohne das eigentliche Problem zu lösen.

Was wäre, wenn die wahre Lösung nicht darin bestünde, das Auto zu ersetzen, sondern darin, ein von Grund auf überlegenes System zu entwerfen? Ein persönliches Mobilitäts-Portfolio, das Ihnen für jede spezifische Situation nicht nur eine, sondern die jeweils optimale Lösung bietet. Statt auf ein einziges, starres und teures Werkzeug angewiesen zu sein, das für viele Aufgaben ungeeignet ist, verschaffen Sie sich situative Souveränität. Sie werden zum Designer Ihrer eigenen Mobilität, der bewusst entscheidet, welches Verkehrsmittel für den Weg zur Arbeit, den Großeinkauf oder den Wochenendtrip am intelligentesten ist.

Dieser Artikel ist Ihr Bauplan für genau dieses System. Wir zeigen Ihnen, warum die smarte Kombination aus Fahrrad, öffentlichem Nahverkehr (ÖPNV) und Carsharing dem Besitz eines eigenen Autos in puncto Flexibilität überlegen ist. Sie erfahren, wie Sie Ihr persönliches Mobilitätssystem in wenigen Schritten aufbauen, welche Fallstricke Sie vermeiden sollten und wie Sie dauerhaft frei und souverän mobil bleiben.

Um Ihnen den Weg zu dieser neuen, modularen Freiheit zu ebnen, haben wir diesen Leitfaden strukturiert aufgebaut. Das Inhaltsverzeichnis gibt Ihnen einen klaren Überblick über die einzelnen Bausteine Ihres zukünftigen Mobilitätssystems.

Warum Rad + ÖPNV + Carsharing flexibler macht als ein eigenes Auto

Die Vorstellung, das Auto sei der Inbegriff von Freiheit, hält sich hartnäckig. Doch ein genauerer Blick auf den Alltag in deutschen Städten entlarvt dies oft als Illusion. Die vermeintliche Freiheit endet im Stau, bei der endlosen Parkplatzsuche und angesichts explodierender Kosten. Eine Studie von INRIX belegt eindrücklich, dass Autofahrer in Deutschland durchschnittlich 41 Stunden pro Jahr allein mit der Parkplatzsuche verbringen – Zeit, die unwiederbringlich verloren ist. Das eigene Auto ist oft ein Klotz am Bein: teuer im Unterhalt, unflexibel im dichten Stadtverkehr und für Kurzstrecken völlig überdimensioniert.

Die wahre Freiheit liegt in der Wahlmöglichkeit. Ein modulares Mobilitätssystem gibt Ihnen für jede Situation das passende Werkzeug an die Hand. Für den schnellen Weg zum Bäcker ist das Fahrrad unschlagbar. Für die Pendelstrecke zur Arbeit bei jedem Wetter bietet die Kombination aus Rad und S-Bahn eine stressfreie Alternative zum Berufsverkehr. Und für den Großeinkauf oder den Wochenendausflug steht per Carsharing ein passendes Fahrzeug bereit, ohne dass Sie sich um Versicherung, Wartung oder Wertverlust kümmern müssen. Diese modulare Freiheit ersetzt die starre „Ein-Fahrzeug-Lösung“ durch ein dynamisches, anpassungsfähiges Portfolio.

Praxisbeispiel: Familie Oberdörster – Autofrei im Bergischen Land

Dass dieses Konzept selbst unter anspruchsvollen Bedingungen funktioniert, zeigt das Beispiel von Julia Oberdörster und ihrer Familie. Sie leben in einem 1.000-Einwohner-Dorf ohne eigene Einkaufsmöglichkeiten. Dennoch bewältigt die vierköpfige Familie ihren gesamten Alltag komplett autofrei. Ihr System basiert auf einer intelligenten Kombination aus einem mindestens stündlich fahrenden Bus, klassischen Fahrrädern und zwei wetterfesten E-Lastenrädern. Der Ehemann pendelt täglich 30 km nach Köln, sie selbst fährt 16 km zur Arbeit. Dank ÖPNV-Dauerkarten und den Lastenrädern für Transporte beweisen sie, dass situative Souveränität keine Frage des Wohnortes, sondern des System-Designs ist.

Die Flexibilität entsteht also nicht aus dem Besitz eines einzigen, kompromissbehafteten Alleskönners, sondern aus dem intelligenten Zugriff auf ein Netzwerk von Spezialisten. Sie zahlen nur für die Mobilität, die Sie tatsächlich nutzen, und gewinnen Zeit, Nerven und finanzielle Mittel.

Wie Sie Ihr 4-Modi-Mobilitätssystem für 100% Alltagsabdeckung in 5 Schritten bauen

Der Umstieg auf ein autofreies oder autoarmes Leben ist kein Sprung ins kalte Wasser, sondern ein Prozess des bewussten System-Designs. Anstatt von heute auf morgen auf alles zu verzichten, bauen Sie schrittweise Ihr persönliches Mobilitäts-Portfolio auf, das genau auf Ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Es geht darum, für Ihre wiederkehrenden Wege und auch für Ausnahmesituationen die passenden Werkzeuge zu identifizieren und digital zu vernetzen. Dieser proaktive Ansatz nimmt die Angst vor dem Kontrollverlust und ersetzt sie durch das Gefühl der Gestaltungshoheit.

Die Basis Ihres Systems ist eine digitale Kommandozentrale auf Ihrem Smartphone. Hier laufen alle Fäden zusammen: Fahrplanauskünfte, Ticketbuchungen, Carsharing-Verfügbarkeiten und Routenplanung. Der Schlüssel liegt darin, nicht nur einzelne Apps zu nutzen, sondern sie als ein zusammenhängendes Ökosystem zu begreifen, das Ihnen jederzeit einen Überblick über Ihre Optionen gibt. So werden Sie vom passiven Verkehrsteilnehmer zum aktiven Mobilitätsmanager.

Nahaufnahme verschiedener Mobilitäts-Apps und Verkehrsmittel-Optionen in deutscher Stadt

Die folgende Checkliste dient Ihnen als konkreter Fahrplan, um Ihr System strukturiert aufzubauen. Jeder Schritt bringt Sie näher an eine 100%ige Abdeckung Ihres Alltags – ohne die Abhängigkeit von einem eigenen Pkw. Betrachten Sie es als den Aufbau eines Werkzeugkastens, bei dem jedes Werkzeug seine spezifische Stärke hat.

Ihr 5-Schritte-Plan zum persönlichen Mobilitätssystem

  1. Mobility-Audit durchführen: Analysieren Sie Ihre typischen Wege. Kartieren Sie verfügbare ÖPNV-Linien an Wohn- und Arbeitsort und identifizieren Sie präsente Carsharing-Anbieter wie Miles, ShareNow oder Sixt Share in Ihrer Umgebung.
  2. Digitalen Werkzeugkasten aufbauen: Installieren Sie den DB Navigator als Basis-App für den Fern- und Nahverkehr. Ergänzen Sie ihn mit lokalen Aggregator-Apps wie Jelbi (Berlin), hvv switch (Hamburg) oder KVV.mobil (Karlsruhe), die verschiedene Dienste bündeln.
  3. Mobilitäts-Routinen standardisieren: Definieren Sie für wiederkehrende Wege (Pendeln, Wocheneinkauf) die optimale Verkehrsmittelkombination und speichern Sie diese als Favoriten in Ihren Apps, um die tägliche Planung zu automatisieren.
  4. Edge-Cases trainieren: Entwickeln Sie proaktiv Backup-Pläne für Ausnahmesituationen. Was tun bei einem ÖPNV-Streik? Halten Sie Taxi-Apps (z.B. FREE NOW) als „Resilienz-Puffer“ bereit und erwägen Sie die Anschaffung eines Faltrads, das auch in Sperrzeiten als Gepäckstück mitgenommen werden darf.
  5. Kosten-Nutzen optimieren: Nutzen Sie das Deutschlandticket als kostengünstige Basis für den ÖPNV. Vergleichen Sie regelmäßig die Tarife der Carsharing-Anbieter für Ihren Nutzungsbedarf und prüfen Sie Optionen wie E-Bike-Leasing über den Arbeitgeber.

Komplett autofrei oder Auto-Sharing: Welches Modell für welchen Lebenskontext?

Die Entscheidung für ein Leben mit weniger Auto bedeutet nicht für jeden das Gleiche. Die Frage ist nicht, ob man komplett verzichten muss, sondern welches Modell am besten zum eigenen Lebenskontext passt. Die beiden Hauptpfade sind der vollständige Verzicht, ergänzt durch flexible On-Demand-Dienste, oder die strategische Nutzung von Carsharing als festem Baustein. Welcher Weg der richtige für Sie ist, hängt von Faktoren wie Wohnort, Familiengröße und der Art Ihrer typischen Wege ab. Ein Single in der Großstadt hat andere Anforderungen als eine Familie im Speckgürtel.

Für Bewohner von Innenstädten mit exzellenter ÖPNV-Anbindung und hoher Dichte an Free-Floating-Carsharing ist ein komplett autofreies Modell oft die überlegene Wahl. Spontane Fahrten sind jederzeit möglich, ohne die Belastung durch Fixkosten. Für Familien oder Bewohner ländlicherer Regionen kann ein Modell mit stationärem Carsharing sinnvoller sein. Hier bucht man Fahrzeuge im Voraus, hat aber die Garantie, für den geplanten Wochenendausflug oder den Möbeltransport ein passendes Auto zur Verfügung zu haben. Die Verfügbarkeit und die Modelle der Anbieter sind dabei entscheidende Kriterien.

Die folgende Tabelle gibt Ihnen eine Orientierung, welches Modell für Ihre Lebenssituation am besten geeignet sein könnte. Sie zeigt, dass es für nahezu jeden Kontext eine intelligente Lösung jenseits des Privat-Pkw gibt.

Carsharing-Verfügbarkeit und Nutzungsmodelle in deutschen Städten 2024
Lebenskontext Empfohlenes Modell Vorteile Carsharing-Dichte (Beispiele)
Großstadt-Single Komplett autofrei + Free-Floating Spontane Verfügbarkeit, keine Fixkosten Karlsruhe: 4 Autos/1000 Einwohner
Familie im Speckgürtel E-Lastenrad + stationäres Carsharing Garantierte Verfügbarkeit für Wochenendausflüge München/Berlin: 2 Autos/1000 Einwohner
Kleinstadt/Land ÖPNV + Privates Carsharing Günstigere Tagesmieten, spezielle Modelle verfügbar 1200+ Städte mit Angeboten (2024)

Wie die Daten für 2024 zeigen, ist das Carsharing-Netz in Deutschland dichter als oft angenommen. Es geht darum, das vorhandene Angebot clever für die eigenen Bedürfnisse zu nutzen, anstatt in den alten Mustern des Autobesitzes gefangen zu bleiben.

Der Rückfall-Fehler: Warum 60% der Auto-Verzichter nach 3 Monaten aufgeben

Der Weg in ein autofreies Leben hat eine kritische Phase: die ersten drei Monate. Studien deuten darauf hin, dass ein erheblicher Teil der Neulinge in dieser Zeit aufgibt und zum eigenen Auto zurückkehrt. Dieser „Rückfall“ ist jedoch selten ein Zeichen von mangelnder Willenskraft, sondern meist die Folge einer unzureichenden Systemplanung. Der Fehler liegt darin, den Umstieg als reinen Verzicht zu betrachten, anstatt ihn als Aufbau eines neuen, resilienten Systems zu gestalten. Die häufigsten Auslöser für den Rückfall sind unvorhergesehene Ereignisse: der erste Dauerregen, ein plötzlicher ÖPNV-Streik oder der spontane Bedarf, etwas Sperriges zu transportieren.

Die Lösung liegt in der Vorbereitung auf genau diese „Edge Cases“. Wer proaktiv einen Resilienz-Puffer in sein System einplant, gerät nicht in Panik, wenn der ursprüngliche Plan A nicht funktioniert. Das bedeutet, eine gute Regenjacke nicht als Notlösung, sondern als Standardausrüstung zu betrachten. Es bedeutet, Taxi-Apps als bewussten Plan B für Notfälle bereitzuhalten und die Kosten dafür gegen die monatlichen Fixkosten eines Autos aufzurechnen. Es bedeutet, zu wissen, welcher Carsharing-Anbieter Transporter im Angebot hat, lange bevor man sie braucht.

Radfahrer mit hochwertiger Regenkleidung fährt selbstbewusst durch deutschen Stadtregen

Indem Sie diese potenziellen Störfälle antizipieren und Lösungen parat haben, nehmen Sie ihnen die Macht. Der „Rückfall“ wird so zu einem geplanten Ausweichen auf einen anderen Teil Ihres flexiblen Systems. Entscheidend ist auch die mentale Seite, wie das folgende Beispiel zeigt.

„Den Schritt ins autofreie Leben bereut sie trotzdem nicht. ‚Ich fühle mich auf dem Rad viel freier, kann die Gedanken schweifen lassen und nehme das Wetter und die Landschaft intensiver wahr‘, sagt Muhle. ‚Ich finde es toll, dass du alles mit dem Rad fährst, aber ich könnte das nicht‘, hört Katharina Muhle oft. Es muss ja nicht gleich jede*r sein Auto verkaufen, denkt sie dann. Aber ab und zu mal aufs Fahrrad oder in den Bus steigen, vielleicht den Zweitwagen abschaffen – das wäre auch schon ein Schritt.“ – Katharina Muhle, Lehrerin, im Interview mit dem NABU

Diese positive Umdeutung der Erfahrung – die Wahrnehmung von Freiheit statt Verzicht – ist der stärkste Motor, um die Anfangsphase erfolgreich zu meistern und die Vorteile des neuen Systems langfristig zu genießen.

E-Lastenrad für 4.000 € oder Carsharing: Was für Familien langfristig günstiger ist

Für Familien ist der Kombi oft das scheinbar alternativlose Zentrum der Mobilität. Der Transport von Kindern, Wocheneinkäufen und Spielzeug scheint ohne ein eigenes großes Auto undenkbar. Doch gerade hier entfalten sich die Stärken eines multimodalen Systems besonders eindrucksvoll. Die Kernfrage lautet oft: Investiere ich in ein eigenes E-Lastenrad als Autoersatz oder setze ich auf flexible Carsharing-Angebote? Die Antwort ist eine Kosten-Nutzen-Rechnung, die von der individuellen Fahrleistung abhängt.

Ein E-Lastenrad ist eine einmalige, größere Investition, hat danach aber extrem niedrige laufende Kosten. Es ist perfekt für alle täglichen Wege im Nahbereich: Kinder zur Kita bringen, Einkäufe erledigen, zum Spielplatz fahren. Carsharing hingegen bietet maximale Flexibilität für längere Strecken und den Transport großer Gegenstände, wird aber bei häufiger Nutzung teurer. Die entscheidende Kennzahl ist die jährliche Kilometerleistung, für die ein Auto benötigt wird. Aktuellen Berechnungen zufolge liegt die Kostengrenze, ab der Carsharing teurer wird als ein eigenes Auto, bei rund 14.000 Kilometern Jahresfahrleistung. Wichtig ist: Dies bezieht sich auf Fahrten, die nicht durch Rad oder ÖPNV ersetzt werden können.

Für viele Familien liegt die rein Pkw-notwendige Distanz weit unter dieser Schwelle, was eine Kombination aus Lastenrad und gelegentlichem Carsharing zur wirtschaftlich überlegenen Lösung macht. Moderne E-Lastenräder sind zudem keine Nischenprodukte mehr, sondern leistungsfähige Alltagsfahrzeuge.

Konkretes Beispiel: Das Tenways Cargo One

Das Tenways Cargo One zeigt, dass leistungsstarke Familien-Lastenräder erschwinglich geworden sind. Mit einem Preis von unter 5.000 € bietet es eine Ausstattung, für die bei anderen Marken oft bis zu 8.000 € fällig werden. Es verfügt über eine große Transportbox für zwei Kinder oder 800 Liter Ladevolumen, einen starken 100-Nm-Mittelmotor und eine hochwertige Ausstattung inklusive Blinkern. Eine solche Investition amortisiert sich im Vergleich zu den Fixkosten eines Mittelklassewagens (ca. 400–600 €/Monat) oft schon nach weniger als zwei Jahren.

Die klügste Strategie für Familien ist daher oft nicht ein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch: Das E-Lastenrad als Arbeitstier für 90% der Alltagswege und Carsharing als flexibler Puffer für die restlichen 10% – die langen Urlaubsfahrten oder den Besuch bei den Großeltern.

Wie Sie in 6 Schritten aktiv die Rad-Infrastruktur Ihrer Stadt verbessern können

Der Aufbau eines persönlichen Mobilitäts-Portfolios ist ein wichtiger Schritt. Doch die Qualität Ihres Systems hängt maßgeblich von den externen Rahmenbedingungen ab – insbesondere von der Rad-Infrastruktur in Ihrer Stadt. Schlecht gewartete Radwege, gefährliche Kreuzungen oder fehlende Abstellmöglichkeiten können die Effizienz und Sicherheit Ihres Systems beeinträchtigen. Anstatt dies passiv hinzunehmen, können Sie aktiv werden und die Bedingungen vor Ort mitgestalten. Dies ist nicht nur ein Beitrag für die Allgemeinheit, sondern eine direkte Investition in die Wertsteigerung Ihres eigenen Mobilitätskonzepts.

Viele Bürgerinnen und Bürger unterschätzen ihren Einfluss auf die kommunale Verkehrsplanung. Dabei gibt es zahlreiche, oft niederschwellige Möglichkeiten, um auf Missstände aufmerksam zu machen und konkrete Verbesserungen anzustoßen. Von digitalen Mängelmeldungen bis hin zu formellen Bürgeranträgen – die Werkzeuge sind vorhanden. Es geht darum, sie zu kennen und strategisch zu nutzen. Ein Engagement muss nicht bedeuten, zum Vollzeit-Aktivisten zu werden. Oft sind es die kleinen, pragmatischen und gut dokumentierten Vorschläge, die bei den Verwaltungen auf offene Ohren stoßen und schnelle Abhilfe schaffen.

Die folgende Anleitung zeigt Ihnen sechs konkrete Schritte, wie Sie sich wirksam für eine bessere Rad-Infrastruktur in Ihrer Kommune einsetzen können:

  1. Radverkehrsbeauftragten identifizieren: Finden Sie über die Website Ihrer Stadtverwaltung heraus, wer für den Radverkehr zuständig ist. Dies ist Ihr erster und wichtigster Ansprechpartner.
  2. Digitale Mängelmelder nutzen: Verwenden Sie offizielle Plattformen Ihrer Stadt oder bundesweite Tools wie „RADar!“, um Gefahrenstellen wie Schlaglöcher, fehlende Markierungen oder zugewachsene Wege mit Foto und genauer Ortsangabe zu melden.
  3. Verbänden beitreten und Kampagnen unterstützen: Eine Mitgliedschaft im ADFC oder VCD verleiht Ihrer Stimme mehr Gewicht. Unterstützen Sie lokale Aktionen wie „Kidical Mass“-Demonstrationen, um den politischen Druck für eine fahrradfreundliche Stadt zu erhöhen.
  4. Bürgerantrag stellen: Für größere Anliegen können Sie einen formellen Antrag bei Ihrer Kommune einreichen, z.B. für die Einrichtung einer Fahrradstraße oder die Installation neuer Fahrradbügel.
  5. Pragmatische Vorschläge machen: Oft haben kleine Änderungen große Wirkung. Schlagen Sie konkret die Optimierung einer Ampelschaltung für Radfahrende vor oder melden Sie zugewachsene Schilder – das ist für die Verwaltung leicht umsetzbar.
  6. An Bürgerbeteiligung teilnehmen: Wenn Ihre Kommune neue Verkehrskonzepte entwickelt, bringen Sie sich aktiv in die Planungsprozesse und öffentlichen Workshops ein. Hier werden die Weichen für die Zukunft gestellt.

Warum Rad + S-Bahn Ihnen dreimal so viele Ziele in 60 Minuten eröffnet

Die wahre Magie eines multimodalen Systems entfaltet sich in der Kombination. Insbesondere das Duo aus Fahrrad und S-Bahn (oder Regionalzug) ist ein unschlagbarer „Reichweiten-Booster“. Während der Aktionsradius mit dem Fahrrad allein oder dem ÖPNV allein begrenzt ist, potenziert ihre Kombination die Anzahl der erreichbaren Ziele exponentiell. Das Fahrrad löst das größte Problem des öffentlichen Nahverkehrs auf brillante Weise: die letzte Meile. Sie sind nicht mehr auf die Haltestellen in unmittelbarer Gehdistanz angewiesen, sondern können von jeder S-Bahn-Station aus einen Radius von mehreren Kilometern schnell und flexibel erschließen.

Dadurch wird ein riesiges, bisher ungenutztes Potenzial freigesetzt. Wie der ADFC Baden-Württemberg aufzeigt, könnten 70% der Autofahrten unter 10 Kilometern problemlos durch das Fahrrad ersetzt werden. Viele dieser Fahrten sind Zubringer zu ÖPNV-Haltestellen. Wenn Sie diesen Zubringerweg mit dem Rad zurücklegen, statt auf das Auto angewiesen zu sein, eröffnet sich ein völlig neues Netz an Möglichkeiten. Ein Arbeitsplatz, der bisher „zu weit von der S-Bahn entfernt“ war, rückt plötzlich in greifbare Nähe. Der See am Stadtrand, der nur mit dem Auto erreichbar schien, wird zum Ziel eines entspannten Wochenendausflugs.

Für Pendler gibt es zudem einen besonders effektiven Trick, um die systemischen Hürden der Fahrradmitnahme im Berufsverkehr zu umgehen.

Der Faltrad-Hack für deutsche Verkehrsverbünde

Ein entscheidender Vorteil für Pendler ist die Nutzung eines Faltrads. In allen deutschen Verkehrsverbünden gilt ein zusammengeklapptes Faltrad als kostenloses Gepäckstück. Damit umgehen Sie die oft restriktiven Sperrzeiten für die Mitnahme von normalen Fahrrädern während der Stoßzeiten im Berufsverkehr. Dies verleiht Pendlern eine unschätzbare Flexibilität: Sie können jederzeit und in jedem Zug zwischen Rad- und Bahnfahrt wechseln und sind so immun gegen Staus, Zugausfälle auf Teilstrecken oder plötzliche Wetterumschwünge.

Die Kombination aus Rad und ÖPNV ist also weit mehr als nur die Summe ihrer Teile. Sie ist ein strategisches Werkzeug, um Ihre persönliche Landkarte neu zu zeichnen und Ihre urbane Reichweite ohne die Nachteile des Autos drastisch zu vergrößern.

Das Wichtigste in Kürze

  • Wahre Mobilität ist nicht der Besitz eines Fahrzeugs, sondern der Zugriff auf das richtige Werkzeug für jede Aufgabe.
  • Die Kombination von Rad, ÖPNV und Carsharing schafft ein flexibles, modulares System, das dem starren Auto überlegen ist.
  • Der Umstieg gelingt durch proaktives Systemdesign und die Planung von „Resilienz-Puffern“, nicht durch reinen Verzicht.

Wie die Kombination Rad + ÖPNV Ihre urbane Reichweite verdreifacht ohne Auto

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der strategische Wechsel von einem starren Autobesitz zu einem flexiblen Mobilitäts-Portfolio nicht nur eine ökologische oder finanzielle Entscheidung ist, sondern vor allem eine Entscheidung für mehr persönliche Freiheit. Durch die intelligente Verknüpfung der Stärken von Fahrrad, ÖPNV und Carsharing entsteht ein System, das dem einzelnen Auto in den meisten Alltagssituationen überlegen ist. Sie tauschen die Belastungen durch Stau, Parkplatzsuche und Fixkosten gegen die Freiheit ein, für jede Aufgabe das effizienteste, schnellste oder angenehmste Verkehrsmittel zu wählen.

Diese neu gewonnene Souveränität ist messbar. Sie zeigt sich in einem drastisch vergrößerten Aktionsradius, wie die Kombination aus Rad und S-Bahn beweist. Sie zeigt sich aber auch in den Finanzen: Eine EU-weite Studie zu den realen Kosten von Verkehrsmitteln beziffert die Gesamtkosten eines privat genutzten Pkw auf durchschnittlich 99,3 Cent pro Kilometer, wenn man gesellschaftliche Folgekosten mit einrechnet. Die Kosten für ein Fahrrad betragen nur einen Bruchteil davon. Dieses Geld steht Ihnen für andere Dinge zur Verfügung.

Ihre Überlegungen treffen zudem den Nerv der Zeit. Der Wunsch nach intelligenten, systemischen Lösungen wächst in der Gesellschaft, während die Faszination für das E-Auto als alleiniger Heilsbringer abnimmt.

Nur 17 Prozent der Befragten ziehen in Erwägung, sich ein E-Auto anzuschaffen – ein neuer Tiefstwert. Für fast zwei Drittel der Befragten (62 Prozent) ist der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs eine wichtige Stellschraube, um die Klimabelastung zu reduzieren. – acatech, Mobilitätsmonitor 2024

Sie sind also Teil einer wachsenden Bewegung, die Mobilität neu denkt: weg von Besitz, hin zu intelligentem Zugriff.

Der erste Schritt ist der einfachste: Analysieren Sie Ihre Routinen und bauen Sie Ihren digitalen Werkzeugkasten auf. Beginnen Sie noch heute damit, Ihr persönliches Mobilitäts-Portfolio zu entwerfen und erleben Sie eine neue Form der urbanen Freiheit und Souveränität.

Geschrieben von Stefan Lehmann, Stefan Lehmann ist Diplom-Geograph und Verkehrsplaner mit 11 Jahren Erfahrung in der Entwicklung urbaner Mobilitätskonzepte. Er arbeitet als Projektleiter in einem Ingenieurbüro für Verkehrsplanung und berät Städte in der Transformation zu fahrradfreundlicher Infrastruktur und multimodalen Verkehrssystemen.