Veröffentlicht am März 15, 2024

Die schnellste Pendelroute ist selten die direkteste; wahre Effizienz und Sicherheit entstehen durch eine trainierte „Pendel-Intelligenz“.

  • Die direkte Route ist oft nur marginal schneller, erhöht aber das Unfallrisiko signifikant durch mehr Konfliktpunkte mit dem Autoverkehr.
  • Systematische Testfahrten und die Analyse von Infrastruktur (z.B. Ampel-Rhythmen, Wegbreite) sind effektiver als das blinde Vertrauen auf Navigations-Apps.

Empfehlung: Beginnen Sie noch heute damit, Ihre gewohnte Route aktiv zu hinterfragen und alternative Segmente zu testen, um Ihre persönliche mentale Routenkarte zu erstellen und zu optimieren.

Jeden Morgen die gleiche Routine: Sie schwingen sich aufs Rad, starten die Navigations-App und folgen der vertrauten blauen Linie zur Arbeit. Doch was, wenn diese Gewohnheit Sie täglich wertvolle Minuten kostet und unnötigen Gefahren aussetzt? Viele Stadtpendler in Deutschland glauben, die kürzeste Strecke sei automatisch die beste. Sie verlassen sich auf Algorithmen oder fahren seit Jahren denselben Weg, ohne die tiefgreifenden Veränderungen der städtischen Rad-Infrastruktur zu berücksichtigen.

Die gängigen Ratschläge – Helm tragen, Licht an – sind wichtig, kratzen aber nur an der Oberfläche der Pendel-Optimierung. Sie bleiben reaktiv, anstatt proaktiv Sicherheit und Effizienz zu gestalten. Doch was, wenn der Schlüssel zu einem schnelleren und entspannteren Arbeitsweg nicht in besserer Ausrüstung, sondern in einer überlegenen Strategie liegt? Was, wenn die wahre Kunst des urbanen Radfahrens darin besteht, eine dynamische mentale Karte zu entwickeln, die weit über das hinausgeht, was eine App anzeigen kann?

Dieser Artikel bricht mit der Vorstellung, dass Pendeln ein passives Abfahren einer vorgegebenen Strecke ist. Wir stellen Ihnen das Konzept der „Pendel-Intelligenz“ vor: eine kognitive Fähigkeit, die Sie befähigt, die bestehende Infrastruktur – von Radschnellwegen über Ampelschaltungen bis hin zu versteckten Nebenstraßen – strategisch zu lesen und zu nutzen. Es geht darum, nicht nur von A nach B zu kommen, sondern die Route selbst zu meistern.

Wir werden Ihnen zeigen, wie Sie die gefährlichen Fallen direkter Routen erkennen, in einem strukturierten Prozess Ihre persönliche Optimal-Route kartieren und sogar lernen, Ampel-Rhythmen zu Ihrem Vorteil zu nutzen. Machen Sie sich bereit, Ihre tägliche Fahrt von einer Notwendigkeit in eine Demonstration von Effizienz und strategischem Weitblick zu verwandeln.

Dieser Leitfaden führt Sie schrittweise durch die Methoden der mentalen Routen-Optimierung. Die folgende Übersicht zeigt die Kernthemen, die wir behandeln werden, um Ihre Pendel-Intelligenz zu schärfen.

Warum die direkte Route nur 5% schneller, aber 40% gefährlicher ist

Die Verlockung ist groß: Die Navigations-App zeigt eine direkte Linie zum Ziel, die fünf Minuten Fahrzeit einspart. Doch dieser scheinbare Effizienzgewinn wird oft mit einem unverhältnismäßig hohen Risiko erkauft. Hauptverkehrsstraßen, die meist die direktesten Verbindungen darstellen, bündeln den Verkehr und damit auch die Gefahrenpunkte. Unübersichtliche Kreuzungen, abbiegende LKW und die ständige Gefahr durch sich öffnende Autotüren machen diese Routen zu einem Stressfaktor, der den minimalen Zeitvorteil zunichtemacht. Es ist eine strategische Fehlkalkulation, die viele Pendler unbewusst täglich eingehen.

Die Zahlen bestätigen dieses Missverhältnis. Laut offiziellen Daten des Statistischen Bundesamtes starben allein 2024 in Deutschland 441 Radfahrende im Straßenverkehr. Ein signifikanter Teil dieser Unfälle ereignet sich an den typischen Konfliktpunkten von Hauptstraßen. Der entscheidende strategische Wechsel besteht darin, das Zeit-Risiko-Verhältnis bewusst zu bewerten. Ist eine Ersparnis von wenigen Minuten das tägliche Navigieren durch Hochrisikozonen wert? Meist lautet die Antwort nein.

Die Alternative liegt in der intelligenten Nutzung von Tempo-30-Zonen und ausgewiesenen Fahrradstraßen. Auch wenn die Durchschnittsgeschwindigkeit hier geringer sein mag, reduziert sich die Anzahl der Stress- und Gefahrenmomente drastisch. Weniger Ampelstopps, homogenere Verkehrsgeschwindigkeiten und eine generell rücksichtsvollere Umgebung führen zu einer deutlich entspannteren und oft nur unwesentlich längeren Fahrt.

Der folgende Vergleich, basierend auf Analysen des ADFC, verdeutlicht die qualitativen Unterschiede zwischen den Routen-Typen und zeigt, warum die gefühlte Sicherheit ein entscheidender Faktor für eine nachhaltig angenehme Pendel-Erfahrung ist.

Vergleich Hauptverkehrsstraße vs. Tempo-30-Zone
Kriterium Hauptverkehrsstraße Tempo-30-Zone
Durchschnittsgeschwindigkeit 22 km/h 18 km/h
Unfallrisiko mit PKW 70,7% aller Unfälle Deutlich reduziert
Stresslevel (1-10) 8-9 3-4
Ampelstopps Alle 500m Alle 1-2 km

Aktionsplan: Ihre Routen-Risiko-Analyse

  1. Gefahrenpunkte identifizieren: Alle Kreuzungen, ungeschützte Abbiegesituationen und Einmündungen auf Ihrer potenziellen Route auflisten.
  2. Verkehrsfluss analysieren: Die Verkehrsdichte (PKW, LKW, andere Radfahrer) zu Ihren Pendelzeiten mit Heatmap-Daten und Vor-Ort-Beobachtung bewerten.
  3. Infrastruktur bewerten: Oberflächenqualität, Wegbreite, Beleuchtung und das Vorhandensein von „Dooring-Zonen“ (Parkstreifen) dokumentieren.
  4. Zeit-Risiko-Verhältnis berechnen: Den potenziellen Zeitgewinn einer Route gegen die Anzahl und Schwere der identifizierten Risikopunkte abwägen.
  5. Master-Route definieren: Die sichersten und effizientesten Segmente verschiedener Testrouten zu einer optimierten Gesamtstrecke kombinieren.

Wie Sie in 4 Wochen durch Test-Rides Ihre perfekte Pendel-Route kartieren

Die Entwicklung Ihrer optimalen Route ist kein einmaliger Planungsakt, sondern ein iterativer Prozess der Datenerhebung und -analyse. Anstatt sich auf einen Algorithmus zu verlassen, werden Sie zum Forscher Ihrer eigenen urbanen Umgebung. Ein strukturiertes vierwöchiges Testprotokoll ist die effektivste Methode, um eine Route zu finden, die nicht nur schnell und sicher, sondern auch angenehm ist. Dieser Prozess bildet das Fundament Ihrer mentalen Karte.

Beginnen Sie in der ersten Woche mit der Identifizierung von drei bis vier grundlegenden Routenoptionen. Nutzen Sie dafür eine Kombination aus digitalen Werkzeugen wie Komoot und Strava-Heatmaps sowie offiziellen Radwegekarten Ihrer Stadt. Das Ziel ist es, eine breite Basis an Möglichkeiten zu schaffen, die über die offensichtliche, direkte Verbindung hinausgeht. Diese Phase ist die Hypothesenbildung Ihres Experiments.

Dieser Prozess, bei dem Sie systematisch Daten sammeln und Ihre Eindrücke festhalten, ist entscheidend, um subjektives Gefühl in objektive Entscheidungskriterien umzuwandeln.

Radfahrerin macht sich Notizen zu verschiedenen Routenoptionen in einer städtischen Umgebung, um ihre Pendelstrecke zu optimieren.

In der zweiten Woche folgt die Validierung. Fahren Sie jede Route mindestens zweimal – einmal morgens im Berufsverkehr und einmal abends. Stoppen Sie die Zeit, zählen Sie die Ampelstopps und bewerten Sie die Oberflächenqualität auf einer Skala von 1 bis 5. Woche drei dient der Verfeinerung unter variablen Bedingungen. Testen Sie die Strecken bei unterschiedlichem Wetter und notieren Sie spezifische Problemstellen wie große Pfützen oder rutschige Abschnitte. In der vierten Woche synthetisieren Sie Ihre Erkenntnisse: Kombinieren Sie die besten Segmente der verschiedenen Optionen zu Ihrer persönlichen „Master-Route“. Fahren Sie diese neue Strecke mehrmals, um sie zu validieren und mental zu verankern.

Haupt-Radrouten oder Neben-Wege: Was bringt schnellere und angenehmere Pendelfahrten?

Die Entscheidung zwischen einer ausgebauten Haupt-Radroute und einem Labyrinth aus ruhigen Nebenstraßen ist eine zentrale strategische Abwägung. Beides hat spezifische Vor- und Nachteile, die von der Tageszeit, dem Wetter und dem persönlichen Sicherheitsempfinden abhängen. Gut ausgebaute Infrastruktur wie die Radschnellwege in Nordrhein-Westfalen verspricht Effizienz und Sicherheit durch bauliche Trennung vom Autoverkehr.

Der Radschnellweg RS1 zwischen Essen und Mülheim ist hierfür ein Paradebeispiel. Mit einer Breite von vier Metern ermöglicht er konfliktfreies Überholen auch bei Gegenverkehr und die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit liegt bei komfortablen 20 km/h. Doch diese Effizienz hat ihren Preis: Auf abgelegenen Abschnitten, besonders in den dunkleren Monaten, kann die fehlende soziale Kontrolle das subjektive Sicherheitsgefühl mindern. Ein Aspekt, den reine Fahrzeit-Algorithmen nicht erfassen.

Auf der anderen Seite stehen Nebenstraßen und als Fahrradstraßen ausgewiesene Wege. Hier ist der Autoverkehr untergeordnet, und das Tempo ist meist auf 30 km/h begrenzt, was eine sicherere Koexistenz ermöglicht. Der Vorteil ist eine oft ruhigere, grünere und stressfreiere Umgebung. Der Nachteil: Die Wegeführung kann komplexer sein, die Oberflächenqualität variieren und die Navigation erfordert eine exzellente mentale Karte, um nicht in Sackgassen zu enden oder die Orientierung zu verlieren. Zudem muss auch hier bei 30 km/h eine sichere Befahrbarkeit für Radfahrende gewährleistet sein, was in der Realität nicht immer der Fall ist.

Die optimale Strategie liegt oft in der Kombination. Nutzen Sie die schnellen Hauptachsen für längere, unkomplizierte Teilstücke und weichen Sie in unübersichtlichen oder dicht bebauten Zentren auf ein von Ihnen kartiertes Netz von Nebenstraßen aus. Ihre persönliche „Pendel-Intelligenz“ zeigt sich darin, situationsabhängig die beste Option zu wählen und die Stärken beider Systeme zu verbinden.

Der Routen-Einschlaf-Fehler: Warum Ihre 2019er-Route heute 10 Minuten zu lang ist

Einer der größten Effizienzkiller für erfahrene Pendler ist die Macht der Gewohnheit. Man hat eine Route gefunden, die „funktioniert“, und fährt sie über Jahre hinweg, ohne sie je wieder infrage zu stellen. Dieser „Routen-Einschlaf-Fehler“ führt dazu, dass man massive Verbesserungen der städtischen Infrastruktur einfach übersieht. Eine Großbaustelle, die jahrelang eine Umleitung erzwang, ist vielleicht beendet. Ein neuer Pop-up-Radweg könnte eine gefährliche Kreuzung entschärfen. Eine ehemals dunkle Parkanlage hat eventuell eine neue Beleuchtung erhalten und ist nun eine attraktive Abkürzung.

Städtische Mobilitätslandschaften sind dynamische Systeme. Was 2019 die beste Route war, kann heute eine ineffiziente und veraltete Wahl sein. Ein proaktiver Routen-Audit, mindestens ein- bis zweimal pro Jahr durchgeführt, ist daher unerlässlich. Auslöser für einen solchen Audit können neu eröffnete Radschnellwege, die Beendigung von Baustellen, aber auch saisonale Änderungen wie die Prioritäten des Winterdienstes sein. Selbst veränderte Verkehrsaufkommen durch neue Wohn- oder Gewerbegebiete können das Zeit-Risiko-Verhältnis Ihrer Strecke dramatisch verschieben.

Dieser Prozess des Hinterfragens und Neuentdeckens ist mehr als nur technische Optimierung. Er hält die Fahrt interessant und fördert die Achtsamkeit für die eigene Umgebung. Wie Michael Hokkeler, ein erfahrener Ganzjahres-Pendler, es treffend formuliert, geht es auch um die Qualität der Fahrt selbst.

Der kürzeste Weg ist selten der beste. Aber auf dem richtigen Weg kann man schon unterwegs auch vor der Arbeit noch einmal Gedanken sammeln, abschalten und sogar genießen.

– Michael Hokkeler, Rennrad-News Pendler-Guide

Ein regelmäßiger Routen-Audit ist der Mechanismus, der Ihre mentale Karte aktuell und scharf hält. Er zwingt Sie, aus dem Autopiloten auszubrechen und Ihre „Pendel-Intelligenz“ aktiv zu nutzen. Die potenziell eingesparten zehn Minuten sind dabei nur der messbare Bonus – die wiederentdeckte Freude am Weg ist der eigentliche Gewinn.

Navigations-App oder mentale Route: Was für Stadt-Pendler effizienter ist

Die Allgegenwart von Navigations-Apps hat eine paradoxe Wirkung auf urbane Radfahrer: Sie macht uns abhängig und verhindert den Aufbau echter Ortskenntnis. Das ständige Starren auf einen kleinen Bildschirm fragmentiert die Aufmerksamkeit, verringert die Wahrnehmung der Umgebung und untergräbt das Vertrauen in die eigene Orientierungsfähigkeit. Eine App ist ein nützliches Werkzeug für die einmalige Erkundung – für das tägliche Pendeln ist eine tief verankerte mentale Route jedoch weit überlegen.

Die mentale Route, das Ergebnis Ihrer systematischen Test-Rides und Analysen, ist dynamisch und kontextsensitiv. Sie wissen instinktiv, welche Abzweigung Sie bei Nässe meiden sollten, an welcher Kreuzung Sie besonders aufmerksam sein müssen und wo sich eine kurze Pause im Grünen anbietet. Sie sind nicht der Sklave einer blauen Linie, sondern der souveräne Dirigent Ihrer Fahrt. Diese Souveränität führt nicht nur zu mehr Sicherheit, sondern auch zu einer flüssigeren und schnelleren Fahrt, da Sie antizipieren können, anstatt nur zu reagieren.

Moderne Planungstools sollten daher strategisch eingesetzt werden: zur Vorbereitung, nicht zur Live-Navigation. Ein gutes Beispiel ist Bikerouter.de, eine Anwendung, die auf OpenStreetMap-Daten basiert. Hier können erfahrene Nutzer am Desktop detaillierte Routen planen, Parameter anpassen (z.B. Bundesstraßen meiden) und die fertige Route als GPX-Datei exportieren. Der entscheidende Punkt: Während der Fahrt bleibt das Smartphone in der Tasche. Die geplante Route dient als Grundlage, die durch die Fahrt mental verankert und mit realen Eindrücken angereichert wird.

Ein selbstbewusster Radpendler navigiert sicher durch eine komplexe Kreuzung in einer deutschen Stadt, ohne auf sein Smartphone zu schauen.

Der Unterschied ist fundamental: Die App liefert eine Anweisung, die mentale Karte liefert Verständnis. Sie kennen nicht nur den Weg, sondern auch die Alternativen, die Risiken und die Chancen. Diese tiefe Kenntnis ist der Kern der Pendel-Intelligenz und der Schlüssel zu echter Effizienz.

Warum digitale Heatmaps bessere Routen zeigen als offizielle Radwegbeschilderung

Offizielle Radwegbeschilderungen sind oft das Ergebnis politischer Kompromisse und veralteter Planungen. Sie folgen nicht immer der logischsten, schnellsten oder sichersten Linienführung. Digitale Heatmaps, wie sie beispielsweise von Strava angeboten werden, bieten hier eine mächtige Alternative. Sie zeigen die kollektive Intelligenz der Radfahrer-Community und visualisieren die tatsächlich am häufigsten genutzten Wege. Diese „Elefantenpfade“ der urbanen Mobilität sind oft ein Indikator für die wirklich effizienten und angenehmen Korridore.

Die Nutzung von Heatmaps erlaubt es, die Lücken im offiziellen Netz zu erkennen und Routen zu entdecken, die man sonst nie in Betracht gezogen hätte – eine versteckte Parkdurchquerung, eine ruhige Wohnstraße parallel zur lauten Hauptachse, eine clevere Verbindung zwischen zwei Radwegen. Sie sind ein unschätzbares Werkzeug in der Planungsphase (Woche 1 Ihres Test-Ride-Protokolls), um Hypothesen für neue Routen-Segmente zu generieren.

Allerdings erfordert der Umgang mit diesen Daten strategischen Weitblick und ein Bewusstsein für deren Grenzen. Die Daten von Plattformen wie Strava haben einen klaren „Bias“: Sie stammen primär von sportlich ambitionierten, meist männlichen Radfahrern. Routen, die für hohe Geschwindigkeiten auf dem Rennrad optimiert sind, eignen sich nicht zwangsläufig für Pendler mit Gepäck, Lastenrad-Fahrer oder Menschen mit einem höheren Sicherheitsbedürfnis. Die hellsten Linien auf der Heatmap sind nicht automatisch die besten für jeden.

Die Lösung liegt in der kritischen Kombination von Datenquellen. Nutzen Sie die Heatmap als Inspirationsquelle, aber überprüfen Sie die vorgeschlagenen Strecken immer mit anderen Werkzeugen wie Google Maps Street View. So können Sie die tatsächliche Infrastruktur – Radwegbreite, Oberflächenqualität, Verkehrsaufkommen – visuell einschätzen, bevor Sie die Strecke selbst testen. Diese Synthese aus Schwarmintelligenz und individueller Überprüfung ist ein Kennzeichen fortgeschrittener Pendel-Intelligenz.

Wie Sie in 2 Wochen die Ampel-Rhythmen Ihrer Pendelstrecke mental kartieren

Rote Ampeln sind für viele Radpendler der größte Frustfaktor und Zeitfresser. Doch anstatt sie als unvermeidbares Übel zu akzeptieren, können Sie sie als ein vorhersagbares System betrachten, das gemeistert werden kann. Das Ziel ist es, den Ampel-Rhythmus Ihrer Strecke zu dechiffrieren und Ihre Fahrgeschwindigkeit so anzupassen, dass Sie eine persönliche „grüne Welle“ erzeugen. Dies ist eine Mikro-Optimierung mit maximaler Wirkung auf Fahrzeit und -fluss.

Dieser Prozess erfordert ebenfalls eine Phase der strukturierten Beobachtung. Nehmen Sie sich zwei Wochen Zeit für die Ampel-Kartierung. In der ersten Woche beobachten Sie passiv: Notieren Sie für jede relevante Ampel auf Ihrer Master-Route die durchschnittliche Wartezeit. Handelt es sich um eine fest getaktete Schaltung oder eine verkehrsabhängige Steuerung mit Induktionsschleifen? Identifizieren Sie zudem die Dauer der Gelbphase und der Rotphase des Querverkehrs – dies gibt Ihnen ein Gefühl für die Zeitfenster, die Ihnen zur Verfügung stehen.

In der zweiten Woche beginnt die aktive Optimierung. Variieren Sie gezielt Ihr Tempo auf den Abschnitten zwischen den Ampeln. Fahren Sie ein Teilstück einmal mit 18 km/h und am nächsten Tag mit 22 km/h. Sie werden schnell Muster erkennen. Wie der Kölner Ganzjahres-Pendler Michael Hokkeler aus Erfahrung berichtet, ist das Timing entscheidend.

Die grüne Welle ist meist auf PKW-Tempo abgestimmt. Als Radfahrer muss man sein eigenes Timing finden. Bei 22-23 km/h erwische ich auf meiner Strecke die meisten Ampeln bei Grün.

– Michael Hokkeler, Kölner Ganzjahres-Pendler

Am Ende der zwei Wochen werden Sie Ihre optimale Reisegeschwindigkeit für maximale „Flow-Effizienz“ gefunden haben. Sie wissen, vor welcher Ampel Sie kurz das Tempo reduzieren müssen, um nicht bei Rot anzukommen, und auf welchem Abschnitt Sie beschleunigen können, um die nächste Grünphase noch zu erwischen. Diese Fähigkeit, den Verkehrsfluss zu lesen und zu antizipieren, hebt Sie vom reinen „Strecke abfahren“ auf die Ebene des strategischen Navigierens.

Das Wichtigste in Kürze

  • Die mentale Kartierung ist eine kognitive Fähigkeit, die über die reine App-Nutzung hinausgeht und zu mehr Effizienz und Sicherheit führt.
  • Ein systematischer Routen-Audit und regelmäßige Testfahrten sind essenziell, um die persönlich beste Strecke zu finden und aktuell zu halten.
  • Die Analyse und Nutzung von Infrastrukturdetails wie Ampel-Rhythmen und Heatmap-Daten sind Schlüssel zur Optimierung des täglichen Pendelwegs.

Wie Sie als Radfahrer intelligente Ampelsysteme nutzen, um 15% schneller durch die Stadt zu kommen

Die ultimative Stufe der Pendel-Optimierung ist das bewusste Zusammenspiel mit der intelligenten Verkehrsinfrastruktur. Moderne Ampelanlagen sind längst keine simplen Zeitschaltuhren mehr. Sie sind mit Sensoren ausgestattet, meist Induktionsschleifen im Asphalt oder Wärmebildkameras, die auf Verkehrsteilnehmer reagieren. Als Radfahrer können Sie lernen, diese Systeme aktiv für sich zu nutzen, anstatt nur passiv auf deren Signale zu warten.

Der erste Schritt ist die Identifikation. Achten Sie auf die Markierungen auf dem Radweg vor Ampeln: Oft sind dort die Umrisse der Induktionsschleifen als Rechtecke oder Kreise im Asphalt sichtbar. Positionieren Sie Ihr Fahrrad genau über diesen Schleifen, um sicherzustellen, dass Sie vom System erkannt werden. Ein Fahrrad aus Carbon oder Aluminium kann manchmal schlechter detektiert werden; in diesem Fall hilft es, wenn die Felgen aus Metall sind und direkt über der Schleife stehen. An manchen Ampeln gibt es zudem separate Anforderungstaster speziell für Radfahrer.

Sobald Sie erkannt wurden, kommunizieren Sie mit dem System. Auf gut ausgebauten Radschnellverbindungen wird diese Technologie genutzt, um den Radverkehr zu priorisieren. Gemäß den Standards für solche Verbindungen wird eine durchschnittliche Reisegeschwindigkeit von 20 km/h bei maximal 30 Sekunden Wartezeit an Knotenpunkten angestrebt. Indem Sie Ihre Anwesenheit signalisieren, tragen Sie dazu bei, dass die Ampel zu Ihren Gunsten schaltet und Sie den Fluss aufrechterhalten können.

Detailaufnahme von Induktionsschleifen, die in den Asphalt eines deutschen Radwegs eingelassen sind, um Fahrräder an einer intelligenten Ampel zu erkennen.

Das Wissen um diese Technologien verändert Ihre Rolle im Verkehrssystem fundamental. Sie sind kein passiver Bittsteller mehr, der auf Grün wartet, sondern ein aktiver Teilnehmer, der dem System seine Anwesenheit und seinen Bedarf mitteilt. Die Kombination aus der Kenntnis der Ampel-Rhythmen (Makro-Timing) und der gezielten Aktivierung der Sensoren (Mikro-Interaktion) kann Ihre Wartezeiten drastisch reduzieren und Ihre Gesamtfahrzeit um bis zu 15% verkürzen.

Beginnen Sie noch heute damit, diese strategischen Prinzipien anzuwenden. Analysieren Sie Ihre Route, testen Sie Alternativen und entwickeln Sie Ihre persönliche Pendel-Intelligenz, um jeden Tag schneller, sicherer und entspannter anzukommen.

Häufige Fragen zur Routenplanung für Radpendler

Wie oft werden die OpenStreetMap-Daten für Routenplaner aktualisiert?

Die Routingdaten, die von Tools wie Bikerouter.de genutzt werden, stammen aus OpenStreetMap und werden vier- bis fünfmal täglich neu erstellt. Der genaue Aktualisierungsstand ist in der Regel direkt auf der Webseite bei den Datendateien ersichtlich.

Welche Alternative gibt es zu kommerziellen Routing-Apps?

Bikerouter.de, basierend auf BRouter-Web, ist eine leistungsstarke und kostenlose Alternative. Die Anwendung bietet eine Routenplanung ohne Anmeldung mit deutlich mehr Anpassungsmöglichkeiten als die meisten kommerziellen Anbieter, was eine sehr detaillierte und persönliche Routengestaltung ermöglicht.

Kann ich eigene No-Go-Areas definieren?

Ja, fortgeschrittene Planungs-Tools wie Bikerouter.de erlauben es Ihnen, sogenannte „No-Go-Areas“ als GeoJSON-Datei zu importieren. Damit können Sie systematisch gefährliche Kreuzungen, unangenehme Straßenabschnitte oder andere unerwünschte Bereiche bei der automatischen Routenberechnung ausschließen.

Geschrieben von Stefan Lehmann, Stefan Lehmann ist Diplom-Geograph und Verkehrsplaner mit 11 Jahren Erfahrung in der Entwicklung urbaner Mobilitätskonzepte. Er arbeitet als Projektleiter in einem Ingenieurbüro für Verkehrsplanung und berät Städte in der Transformation zu fahrradfreundlicher Infrastruktur und multimodalen Verkehrssystemen.