Veröffentlicht am Mai 15, 2024

Zusammenfassend:

  • Rad + ÖPNV ist kein Kompromiss, sondern ein strategischer Reichweiten-Multiplikator, der Ihren täglichen Aktionsradius ohne Auto exponentiell erweitert.
  • Der Erfolg hängt von der Wahl des richtigen Werkzeugs (Faltrad vs. Normalrad) und dem bewussten Umgang mit systemischen Schwachstellen wie Stoßzeiten ab.
  • Durch die Integration von Bike+Ride, Mitnahme und Mikromobilität entsteht ein persönliches Mobilitätssystem, das über 95 % aller urbanen Wege abdeckt.

Jeder Pendler in Deutschland kennt das Dilemma: Die S-Bahn bringt einen schnell in die Nähe des Ziels, doch die „letzte Meile“ zum Büro oder nach Hause bleibt eine Hürde. Das Auto verspricht Flexibilität, kapituliert aber im morgendlichen Berufsverkehr und bei der Parkplatzsuche. Die gängige Antwort lautet oft, man solle doch einfach das Fahrrad mit den öffentlichen Verkehrsmitteln kombinieren. Doch dieser Ratschlag kratzt nur an der Oberfläche eines viel mächtigeren Konzepts.

Die wahre Transformation urbaner Mobilität liegt nicht in der gelegentlichen Mitnahme eines Fahrrads, sondern im Aufbau eines persönlichen, nahtlosen Mobilitätssystems. Es geht darum, die Kombination aus Rad und öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV) nicht als Notlösung, sondern als strategischen Aktionsradius-Multiplikator zu begreifen. Statt nur zwei Verkehrsmittel zu addieren, integrieren wir sie zu einem überlegenen System, das die Stärken des einen nutzt, um die Schwächen des anderen zu kompensieren.

Doch wie gelingt dieser Schritt von der reinen Kombination zur intelligenten Integration? Die Antwort liegt in einem strategischen Ansatz, der weit über den Kauf eines Fahrradtickets hinausgeht. Es ist eine Frage der richtigen Werkzeuge, des Timings und des Verständnisses für die systemischen Schwachstellen des urbanen Verkehrs. Dieser Leitfaden zeigt Ihnen, wie Sie Ihr eigenes hocheffizientes Mobilitätssystem aufbauen, das Ihnen eine bisher unerreichte Reichweite und Flexibilität im städtischen Raum ermöglicht – und das fast vollständig ohne Auto.

Um diese Strategie Schritt für Schritt zu meistern, gliedert sich dieser Artikel in klare Etappen: von der Berechnung Ihrer neuen Reichweite über die Wahl des passenden Fahrrads bis hin zum Aufbau eines umfassenden, multimodalen Systems für jede Alltagssituation.

Warum Rad + S-Bahn Ihnen dreimal so viele Ziele in 60 Minuten eröffnet

Die herkömmliche Betrachtung von Mobilität ist linear: Man geht zu Fuß zum Bahnhof, fährt S-Bahn und geht wieder zu Fuß zum Ziel. Der Aktionsradius um den Zielbahnhof ist dabei auf wenige hundert Meter begrenzt. Die strategische Integration des Fahrrads bricht diese lineare Logik auf und transformiert sie in ein exponentielles Modell. Stellen Sie sich eine typische S-Bahn-Fahrt von 30 Minuten vor. Der wahre Gewinn liegt in den 15 Minuten, die Sie am Start- und Zielort mit dem Rad zurücklegen. Bei einer moderaten Geschwindigkeit von 15 km/h erschließen Sie so einen Radius von fast 4 Kilometern um jeden Bahnhof.

Dieses Prinzip des „Aktionsradius-Multiplikators“ bedeutet, dass nicht nur der eine anvisierte Punkt erreichbar wird, sondern ein ganzes Gebiet von über 50 Quadratkilometern – pro Bahnhof. Multipliziert über eine S-Bahn-Linie mit mehreren Haltestellen, verdreifacht sich die Anzahl potenzieller Ziele, die Sie innerhalb einer Stunde erreichen können, im Vergleich zu einer reinen ÖPNV-Nutzung. Die durchschnittliche mit dem Fahrrad zurückgelegte Distanz steigt laut der Studie „Mobilität in Deutschland“ mit einem E-Bike bereits auf 6,1 Kilometer pro Weg. In Kombination mit dem ÖPNV potenziert sich diese Reichweite.

Diese strategische Erweiterung wird in Deutschland aktiv gefördert. Die Bike+Ride-Offensive der Deutschen Bahn, die rund 100.000 neue Fahrradstellplätze schaffen soll, ist ein klares Signal. Projekte wie am Zukunftsbahnhof Freising im Münchner S-Bahn-Netz zeigen, wie hochwertige Abstellmöglichkeiten die Grundlage für dieses hocheffiziente System bilden. Die Kombination ist also keine Nischenlösung mehr, sondern ein zentraler Baustein moderner, urbaner Verkehrsplanung.

Wie Sie Rad + ÖPNV in 6 Schritten zu einem nahtlosen System verbinden

Ein System ist mehr als die Summe seiner Teile. Es funktioniert nur dann reibungslos, wenn die Übergänge – die „Schnittstellen“ – optimiert sind. Für die Rad-ÖPNV-Kombination bedeutet das, Reibungspunkte wie Unsicherheit über Regeln, unvorhergesehene Pannen oder schlechtes Wetter proaktiv zu managen. Das Potenzial ist riesig: Eine ADAC-Umfrage zeigt, dass sich 50% der Radfahrer vorstellen können, Bike+Ride für den Arbeitsweg zu nutzen. Um von der Vorstellung zur Praxis zu kommen, bedarf es eines festen Ablaufs, einer Art Pre-Ride-Protokoll.

Dieser Ablauf verwandelt jeden Antritt einer kombinierten Fahrt von einem potenziellen Glücksspiel in einen kalkulierten, stressfreien Prozess. Es geht darum, bekannte Variablen zu kontrollieren, um für die unbekannten – wie einen plötzlichen Zugausfall – gewappnet zu sein. Die folgenden Schritte bilden das Fundament für ein verlässliches und effizientes Mobilitätssystem, das Ihnen die Sicherheit gibt, Ihr Ziel pünktlich und ohne böse Überraschungen zu erreichen. Ein solches System erfordert anfangs etwas Disziplin, wird aber schnell zur Routine und zur Grundlage Ihrer neuen urbanen Freiheit.

Betrachten Sie die folgende Checkliste nicht als lästige Pflicht, sondern als das Betriebssystem Ihrer persönlichen Mobilitätsstrategie. Jeder Punkt eliminiert eine potenzielle Fehlerquelle und erhöht die Zuverlässigkeit Ihres Gesamtsystems.

Ihr Aktionsplan für ein nahtloses Rad-ÖPNV-System

  1. Sperrzeiten prüfen: Informieren Sie sich vor jeder Fahrt über die aktuellen Mitnahmezeiten in Ihrem Verkehrsverbund, um nicht am Bahnsteig abgewiesen zu werden.
  2. Wetter am Zielort checken: Planen Sie nicht nur für den Start, sondern auch für das Ziel die passende, wettergerechte Kleidung ein.
  3. Fahrradticket-Optionen kennen: Vergleichen Sie die Kosten einer Tageskarte gegenüber einer Kurzstrecke, um je nach Fahrt die günstigste Option im Verbundgebiet zu wählen.
  4. Akkustand kontrollieren: Stellen Sie sicher, dass sowohl Ihr E-Bike als auch Ihr Smartphone für Navigation und Ticket-Apps ausreichend geladen sind.
  5. Alternative Routen identifizieren: Kennen Sie mindestens eine Ausweichstrecke oder eine alternative S-Bahn-Linie für den Fall eines Zugausfalls oder einer Streckensperrung.
  6. Bike+Ride-Stationen lokalisieren: Nutzen Sie Apps wie den DB Navigator, um vorab die Verfügbarkeit und Lage von sicheren Fahrrad-Stellplätzen am Zielbahnhof zu prüfen.

Faltrad oder normales Rad mit Ticket: Was für Ihre ÖPNV-Kombination sinnvoller ist

Die Wahl des Fahrrads ist die fundamentalste Hardware-Entscheidung in Ihrem neuen Mobilitätssystem. Sie definiert die Regeln, Kosten und die Flexibilität Ihrer täglichen Wege. Es ist keine Frage von „besser“ oder „schlechter“, sondern eine strategische Abwägung zwischen maximaler Flexibilität und maximaler Reichweite am Zielort. Das Faltrad agiert als „System-Joker“, das normale Fahrrad als „Reichweiten-Spezialist“.

Ein Faltrad gilt im gefalteten Zustand in fast allen deutschen Verkehrsverbünden als kostenloses Handgepäck. Damit umgehen Sie die oft restriktiven Sperrzeiten während der Rush Hour und die Notwendigkeit eines separaten Fahrradtickets. Es ist die ultimative Waffe gegen systemische Schwachstellen. Der Kompromiss liegt in den kleineren Rädern und der damit verbundenen, geringeren optimalen Reichweite, die meist bei 3-5 Kilometern liegt. Es ist perfekt für die letzte Meile in dichten Innenstädten.

Ein normales Fahrrad (oder E-Bike) erfordert ein Ticket und unterliegt Sperrzeiten, bietet dafür aber am Zielort eine uneingeschränkte Reichweite und höheren Fahrkomfort, besonders bei Strecken über 5 Kilometer. Es ist die ideale Lösung für Pendler, die am Zielort längere Distanzen zurücklegen oder ländlichere Gebiete ansteuern. Die Kosten für das Ticket müssen in die Gesamtrechnung einbezogen werden. Die folgende Tabelle fasst die strategische Entscheidung zusammen.

Vergleich: Faltrad vs. Normales Fahrrad im ÖPNV
Kriterium Faltrad Normales Fahrrad
Mitnahme Kostenloses Handgepäck Fahrradticket erforderlich
Sperrzeiten Keine Einschränkungen Rush Hour oft gesperrt
Platzbedarf In Gepäckablage verstaubar Mehrzweckabteil nötig
Reichweite am Zielort 3-5 km optimal >5 km problemlos
Anschaffungskosten 800-2000€ für Qualität 400-1000€ + Ticketkosten
Nahaufnahme eines gefalteten Fahrrads neben Bahnsteigkante mit verschwommenem Zug im Hintergrund

Die Entscheidung hängt also von Ihrem typischen Anforderungsprofil ab: Pendeln Sie zu Stoßzeiten in eine belebte Innenstadt (Vorteil Faltrad) oder fahren Sie antizyklisch zu einem Ziel mit längeren Wegen vor Ort (Vorteil Normalrad)? Für viele Power-User ist die Antwort sogar ein „Sowohl-als-auch“-System, bei dem je nach Tag und Ziel das passende Rad gewählt wird.

Der Stoßzeit-Fehler: Warum 60% der Rad-ÖPNV-Kombis in der Rush Hour scheitern

Die größte systemische Schwachstelle und der häufigste Grund für Frustration bei der Rad-ÖPNV-Kombination ist die Stoßzeit. Genau dann, wenn die meisten Menschen pendeln, ist der Platz in den Zügen am knappsten und die Fahrradmitnahme oft eingeschränkt oder gänzlich verboten. Wie die Senatsverkehrsverwaltung Berlin treffend formuliert, führt „die Kombination der Bahn mit dem ‚feinerschließenden‘ Fahrrad immer wieder zu Konflikten um den knappen Platz“. Wer diese Realität ignoriert, dessen Mobilitätssystem ist zum Scheitern verurteilt.

Das Problem ist strukturell bedingt. Gerade in S-Bahnen, die Pendler aus dem Umland in die Städte bringen, ist das Aufkommen hoch. Verkehrserhebungen zeigen, dass die S-Bahn in Berlin beispielsweise viermal so viele Fahrräder pro Zugkilometer befördert wie die U-Bahn. Dies führt unweigerlich zu vollen Mehrzweckabteilen und den bekannten „Sperrzeiten“, die meist morgens zwischen 6 und 9 Uhr und nachmittags zwischen 16 und 18 Uhr liegen. Zu versuchen, in dieser Zeit mit einem normalen Fahrrad in eine volle S-Bahn zu steigen, ist nicht nur stressig, sondern oft schlicht unmöglich.

Ein strategischer Ansatz bedeutet, dieses Problem nicht als Ärgernis, sondern als festen Systemparameter zu akzeptieren und gezielt zu umgehen. Es gibt drei Kernstrategien, um den Stoßzeit-Fehler zu neutralisieren:

  • Antizyklisches Fahren: Wenn Ihr Arbeitsalltag es zulässt, verschieben Sie Ihre Fahrten um nur 30-60 Minuten vor oder nach der Haupt-Rush-Hour. Der Unterschied im Platzangebot ist oft dramatisch.
  • Die Faltrad-Option: Wie bereits diskutiert, ist das Faltrad die eleganteste Lösung. Als Handgepäckstück umgeht es sämtliche Sperrzeiten und Platzkonflikte.
  • Die Bike+Ride-Strategie: Statt das Rad mitzunehmen, parken Sie ein zweites, günstigeres Rad sicher am Zielbahnhof. Dies erfordert eine gute Infrastruktur, eliminiert aber das Mitnahmeproblem vollständig.

Bike+Ride oder Mitnahme: Welche Strategie für welche Strecken-Kombination?

Nachdem die Stoßzeit als zentrale Herausforderung identifiziert ist, stellt sich die operative Schlüsselfrage: Ist es strategisch klüger, das Fahrrad mitzunehmen (Mitnahme) oder es am Bahnhof zu parken (Bike+Ride, B+R)? Die Antwort hängt von der spezifischen Streckenkombination, der Tageszeit und dem Wert Ihres Fahrrads ab. Jede Strategie hat klare Vor- und Nachteile, die es abzuwägen gilt.

Die Mitnahme-Strategie bietet maximale Flexibilität. Sie haben Ihr eigenes, oft hochwertiges Fahrrad immer dabei und sind nicht auf ein Zweitrad angewiesen. Ideal ist diese Strategie für Wochenendausflüge, Fahrten außerhalb der Stoßzeiten oder wenn Sie am Zielort eine längere, anspruchsvolle oder landschaftlich reizvolle Strecke (>5 km) vor sich haben. Der Nachteil sind die Ticketkosten und die erwähnten Sperrzeit-Konflikte.

Die Bike+Ride-Strategie ist die Lösung für den täglichen, standardisierten Pendelweg. Sie deponieren ein oft robusteres und weniger diebstahlgefährdetes Zweitrad in einer Fahrradabstellanlage oder einer sicheren Fahrradbox am Zielbahnhof. Dies ist perfekt für Kurzstrecken unter 3 km vom Bahnhof zur Arbeit, besonders in dichtem Innenstadtverkehr, wo ein teures Rad nur ein Risiko darstellt. Der Erfolg dieser Strategie steht und fällt mit der Qualität der B+R-Anlagen. Ein ADAC-Test von 80 Anlagen im Umland deutscher Großstädte zeigte, dass zwar 86% nahe am Zugang liegen, aber oft Extras wie Schließfächer oder Ladestationen fehlen. Das Positivbeispiel Wusterhausen (Dosse) mit der Note „sehr gut“ beweist jedoch, was möglich ist: optimale Lage, gute Ausstattung und freie Kapazitäten.

Für den ultimativen Pendler-Profi empfiehlt sich oft eine Hybrid-Strategie. Die folgende Entscheidungshilfe kann bei der täglichen Wahl helfen:

  • Mitnahme wählen bei: Strecken >5 km am Zielort, landschaftlich reizvollen Routen, Wochenendausflügen, Fahrten außerhalb der Stoßzeiten.
  • Bike+Ride bevorzugen bei: Kurzen Wegen <3 km zum Ziel, dichtem Innenstadtverkehr, täglichem Pendeln zur Hauptverkehrszeit.
  • Hybrid-Strategie anwenden: Bike+Ride werktags für den standardisierten Arbeitsweg, Mitnahme des hochwertigen Tourenrads am Wochenende für Ausflüge.
  • Sicherheit priorisieren: Bei hochwertigen Rädern immer bewachte Stationen oder abschließbare Fahrradboxen für die B+R-Strategie nutzen.

Wie Sie Ihr 4-Modi-Mobilitätssystem für 100% Alltagsabdeckung in 5 Schritten bauen

Die Kombination aus Rad und ÖPNV ist das Rückgrat Ihrer autofreien Mobilität, aber für eine wirklich lückenlose Abdeckung aller Alltagssituationen benötigen Sie ein erweitertes, modulares System. Ein 4-Modi-Mobilitätssystem integriert neben Ihrem eigenen Fahrrad und dem ÖPNV auch geteilte Fahrzeuge wie E-Scooter und Carsharing-Autos. Ziel ist es, für jede denkbare Anforderung – vom Großeinkauf bis zum schnellen Meeting in einem anderen Stadtteil – immer das optimale Werkzeug zur Verfügung zu haben, ohne die Nachteile eines eigenen Autos in Kauf nehmen zu müssen.

Weitwinkelaufnahme eines urbanen Mobilitätsknotenpunkts mit Fahrrädern, E-Scootern und Bahnstation

Dieses System basiert auf dem Prinzip der „modularen Mobilität“: Sie besitzen die Basiskomponenten (Fahrrad, ÖPNV-Ticket) und greifen bei Bedarf flexibel auf geteilte Dienste zu. Der Markt dafür wächst rasant. Aktuelle Marktzahlen belegen, dass in Deutschland bereits über 215.000 Fahrräder im Bikesharing oder privaten Abo verfügbar sind. Diese bilden die dritte Säule Ihres Systems.

Der Aufbau Ihres persönlichen 4-Modi-Systems erfolgt in fünf strategischen Schritten:

  1. Analyse des Kernbedarfs: Identifizieren Sie Ihre 3-5 häufigsten Wege (Arbeit, Sport, Freunde). Für diese optimieren Sie Ihr Rad-ÖPNV-System (Modus 1 & 2).
  2. Identifikation der „letzten Meile“: Lokalisieren Sie die E-Scooter- und Bikesharing-Anbieter (Modus 3) an Ihren wichtigsten S-Bahn-Stationen und registrieren Sie sich dort. So haben Sie eine spontane Alternative, wenn Sie Ihr Rad nicht dabei haben.
  3. Planung für Sonderfälle: Identifizieren Sie die seltenen, aber wichtigen Fahrten, die ein Auto erfordern (Möbelkauf, Ausflug mit viel Gepäck). Melden Sie sich bei einem Carsharing-Anbieter (Modus 4) an, dessen Fahrzeuge in Ihrer Nähe verfügbar sind.
  4. App-Konsolidierung: Bündeln Sie alle Mobilitäts-Apps (ÖPNV, Sharing-Dienste) in einem Ordner auf Ihrem Smartphone. Nutzen Sie, wenn möglich, multimodale Apps, die verschiedene Verkehrsmittel bündeln.
  5. Test und Optimierung: Testen Sie jeden Modus bewusst. Finden Sie heraus, welcher Carsharing-Anbieter die saubersten Autos hat oder welcher E-Scooter-Dienst die zuverlässigsten Akkus. Passen Sie Ihr System basierend auf Ihren Erfahrungen an.

Warum ein 3-Geräte-Mikromobilität-Set 95% Ihrer Stadt-Situationen optimal löst

Innerhalb Ihres großen 4-Modi-Systems spielt die Mikromobilität – also alles, was kleiner als ein Auto ist – die entscheidende Rolle für die tägliche Effizienz. Der Grund dafür ist einfach: Untersuchungen in deutschen Großstädten zeigen, dass mehr als 40% der Autofahrten kürzer als 5 Kilometer sind. Diese Distanzen liegen im optimalen Einsatzbereich von Mikromobilitätsgeräten. Anstatt eines teuren, unflexiblen Autos genügt oft ein strategisch zusammengestelltes „3-Geräte-Set“, um 95% aller urbanen Kurzstrecken optimal zu bewältigen.

Dieses Set besteht nicht aus drei beliebigen Geräten, sondern aus drei Werkzeugen mit komplementären Stärken. Jedes Gerät ist für ein spezifisches Szenario optimiert, wodurch Sie immer die effizienteste, schnellste und kostengünstigste Lösung zur Hand haben. Das Ziel ist nicht der Besitz aller Geräte, sondern das Wissen, wann man auf welches (eigene oder geteilte) Gerät zurückgreift.

Der Tretroller (oder Kickscooter) ist der Champion der Ultra-Kurzstrecke unter einem Kilometer – zum Bäcker oder zur Post. Er ist unschlagbar kompakt und darf im ÖPNV immer mit. Der E-Scooter ist ideal für spontane 2-3 km-Strecken, bei denen man schnell und ohne Anstrengung ankommen möchte, etwa zu einem Meeting. Das Fahrrad oder E-Bike bleibt der ungeschlagene König der Distanz (>5 km), des Sports und des Gepäcktransports. Das Faltrad wiederum ist der Spezialist für die „letzte Meile“ vom Bahnhof. Die folgende Matrix zeigt den optimalen Einsatz.

Optimale Mikromobilität für verschiedene Situationen
Situation Optimales Gerät Distanz Vorteile
Schnell zum Bäcker Tretroller <1 km Kompakt, immer erlaubt im ÖPNV
Meeting ohne Schwitzen E-Scooter 2-3 km Schnell, keine Anstrengung
Sonntagsausflug Fahrrad/E-Bike >5 km Reichweite, Sport, Gepäck
Letzte Meile vom Bahnhof Faltrad 1-3 km Flexibel, keine Parkplatzsuche

Durch diesen werkzeugbasierten Ansatz vermeiden Sie, mit dem „falschen“ Gerät unterwegs zu sein – etwa mit dem großen E-Bike mühsam einen Parkplatz in der Innenstadt zu suchen, wo ein E-Scooter viel praktischer wäre. Sie denken nicht mehr in Verkehrsmitteln, sondern in Lösungen für spezifische Mobilitätsprobleme.

Das Wichtigste in Kürze

  • System statt Summe: Betrachten Sie Rad und ÖPNV nicht als zwei getrennte Optionen, sondern als integriertes System, das Ihren Aktionsradius strategisch multipliziert.
  • Flexibilität vs. Reichweite: Die Kernentscheidung liegt zwischen dem Faltrad, das maximale Flexibilität ohne Sperrzeiten bietet, und dem Normalrad, das maximale Reichweite am Zielort ermöglicht.
  • Schwachstellen managen: Der Erfolg Ihrer Strategie hängt davon ab, wie Sie systemische Schwachstellen wie die Rush Hour proaktiv umgehen – durch antizyklisches Fahren, Falträder oder eine Bike+Ride-Strategie.

Wie Sie durch smarte Kombination von Rad, ÖPNV und Carsharing 95% Ihrer Wege autofrei bewältigen

Wir haben gesehen, wie die strategische Kombination aus Rad und ÖPNV den Aktionsradius verdreifacht und wie ein Mikromobilitäts-Set die urbanen Kurzstrecken abdeckt. Der finale Schritt ist die Integration all dieser Elemente zu einem umfassenden Lebensstil, der das eigene Auto für über 95% aller Wege überflüssig macht. Dies ist keine utopische Vision, sondern eine realistische Möglichkeit, die auf klugen Entscheidungen und der Nutzung vorhandener Infrastruktur beruht.

Das Potenzial in Deutschland ist immens. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) zeigt, dass der Radverkehrsanteil von heute 13% auf bis zu 45% steigen könnte, wenn ideale Bedingungen wie lückenlose Infrastruktur und eine perfekte Vernetzung mit dem ÖPNV geschaffen werden. Dies würde bis 2035 jährlich 19 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Sie müssen nicht auf die Politik warten – Sie können Ihr eigenes, perfektes System schon heute bauen.

Das Rückgrat dieses Systems ist der ÖPNV, der durch das Deutschlandticket so zugänglich wie nie zuvor ist. Die Mobilitätsstudie MiD 2023 ergab, dass 16% der Bevölkerung 2024 über ein Deutschlandticket verfügten. Um dieses Ticket herum bauen Sie Ihr flexibles System: Ihr Fahrrad für geplante Touren und den Sport, das Faltrad oder B+R für das tägliche Pendeln, E-Scooter für die spontane „letzte Meile“ und Carsharing als Joker für die seltenen Fälle, in denen ein Auto unumgänglich ist. Dieses System ist nicht nur umweltfreundlicher und oft kostengünstiger, sondern vor allem resilienter und anpassungsfähiger an die täglichen Herausforderungen der urbanen Mobilität.

Beginnen Sie noch heute damit, Ihre häufigsten Wege zu analysieren und das passende Werkzeug aus Ihrem neuen, multimodalen Baukasten auszuwählen. Der Weg zur autofreien urbanen Freiheit ist ein Prozess der schrittweisen Optimierung und bewussten Entscheidungen, der mit jeder einzelnen Fahrt beginnt.

Geschrieben von Stefan Lehmann, Stefan Lehmann ist Diplom-Geograph und Verkehrsplaner mit 11 Jahren Erfahrung in der Entwicklung urbaner Mobilitätskonzepte. Er arbeitet als Projektleiter in einem Ingenieurbüro für Verkehrsplanung und berät Städte in der Transformation zu fahrradfreundlicher Infrastruktur und multimodalen Verkehrssystemen.